#6: Sugar, Sugar, Baby - Flatten the Curve!
Manche mögen ja Achterbahn... du auch? Bei deinem Blutzuckerspiegel nimmst du davon besser Abstand und holst dir dein Adrenalin künftig lieber über andere Wege :-)
Hi!
Unser Körper mag es gerne konstant. Deshalb hält er unseren Blutzucker in engen Grenzen, nämlich üblicherweise zwischen 70 und 120 mg/dl, indem er für ein stetiges Gleichgewicht zwischen Glucose-Verbrauch und -Neubildung sorgt. Die Regulation erfolgt über hormonelle Regelkreise.
Vereinfacht gesagt beginnt jedes Mal aufs Neue eine Kaskade, wenn wir etwas essen: Der Blutzucker geht rauf und prompt schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus, um den Zucker raus aus dem Blut und rein in die Zellen zu bekommen. Spoiler-Alarm: Das passiert übrigens schon unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme, ehe überhaupt der Blutzucker ansteigt – und das ist auch ein Grund dafür, warum ich keinen Süßstoff verwende: der Körper reagiert schon alleine auf den süßen Geschmack.
Fällt der Blutzucker ab, werden unter einer gewissen Schwelle Hormone (Glucagon, Cortisol) und Katecholamine wie Adrenalin ausgeschüttet, die den Blutzucker wieder anheben. Adrenalin kennt jeder: Das Herz pocht schneller, wir schwitzen und müssen unbedingt etwas essen.
Schon beim Lesen wird klar, dass eine ständige Achterbahn mit steilem Anstieg, hohen Insulinmengen und in der Folge rapidem Abfall sich nicht gut anfühlt und die Leistungsfähigkeit herabsetzt. „Flatten the curve“ galt also nicht nur bei der Pandemie, sondern sollte auch deine Devise beim Blutzucker sein!
Die richtigen Lebensmittel helfen dir dabei, den Blutzucker nur leicht ansteigen zu lassen und lange konstant zu halten. Du spürst eine angenehme, langanhaltende Sättigung. Im Idealfall kann auch mal eine Mahlzeit ausfallen, ohne dass es dir irre schwerfällt.
Wie das gelingt?
No naked carbs!
komplexe carbs!
Pausen!
Damit du das besser verstehst, muss ich ein bisschen ausholen. Denn Kohlenhydrate sind nicht gleich Kohlenhydrate…
Glykämischer Index vs. glykämische Last
Wähle lieber Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index (GI) beziehungsweise niedriger glykämischer Last (GL). Du verstehst nur Bahnhof? Keine Sorge, es ist im Grunde ganz simpel: Der “Pschyrembel“ definiert den glykämischen Index als:
„Maß für die Wirkung von Kohlenhydraten eines Nahrungsmittels auf die Blutzuckerkonzentration. Je niedriger der glykämische Index, desto weniger stark steigt die Blutzuckerkonzentration nach dem Essen an.”
Der glykämische Index eines Lebensmittels erlaubt also Rückschlüsse auf dein Blutzuckerprofil nach dem Verzehr. Glucose dient als Referenz und hat den Wert 100.
Je niedriger der glykämische Index eines Lebensmittels ist, desto flacher verläuft die Kurve und desto niedriger fällt die Blutzuckerspitze aus. Hohe Werte des GI zeigen hingegen, dass der Blutzucker hochschnellt. Hülsenfrüchte bringen es auf einen Wert von 29, Spaghetti auf 41, Instant-Reis sogar auf stolze 91, rohe Möhren auf ungefähr 70. (Alle Werte sind natürlich nur als Orientierung zu verstehen!)
Huch! Richtig gelesen? Ja, es ist kein Tippfehler. Denn es gibt Nahrungsmittel wie rohe Möhren, die mit 70 zwar einen exorbitant hohen glykämischen Index haben, den Blutzucker aber trotzdem kaum beeinflussen. Wie geht das? Tja, ganz einfach: Der glykämische Index bezieht sich rein auf die enthaltenen Kohlenhydrate, ohne dabei die Kohlenhydratdichte im Lebensmittel zu berücksichtigen. Rohe Möhren enthalten nämlich insgesamt nur 4 % Kohlenhydrate! Wird dieser Gehalt eingerechnet, landen wir bei der glykämischen Last und die erlaubt uns eine viel bessere Vergleichbarkeit.
Rohe Möhren haben eine glykämische Last von 4, Hülsenfrüchte zwischen 3 und 6 und Äpfel 8, während die glykämische Last von Instant-Reis, gebackene Kartoffeln, Cornflakes und Weißbrot über 20 liegt. Die tatsächlichen Zahlen sind total egal, aber sie erlauben eine schöne Orientierung. Denn obwohl „Couscous“ supercool und gesund klingt, führte der Verzehr bei mir zu höheren Zuckerspitzen als bei allen anderen Lebensmitteln. Klar, die glykämische Last rangiert auch auf den gleichen Werten wie Reis und Nudeln.
Kleine Anmerkung: Die absoluten Zahlen zum glykämischen Index mögen je nach Quelle variieren, insbesondere bei Karotten. Naturbedingt schwankt der tatsächliche Gehalt ja ebenfalls von Karotte zu Karotte!
Komplexe Kohlenhydrate
Mit komplexen Kohlenhydraten wie Hülsenfrüchten oder Vollkornprodukten fährst du in der Regel besser. Pauschal kann man sagen: Je stärker zerkleinert, verkocht und verarbeitet ein Lebensmittel, desto höher wird der Blutzucker ansteigen. Kartoffelpüree erhöht den Blutzucker stärker als eine ganze Kartoffel. Tütchen-Kartoffelpürre übrigens nochmal deutlich mehr als selbst gekochtes. Warum? Na dann schau mal auf die Verpackung: Kartoffelflocken... also kleinst verarbeitet. Es ist auch ohne E-Nummern oder Konservierungsmittel definitiv nicht das gleiche wie frisch gekochtes Püree.
Denn je kleiner, desto leichter und rascher die Resorption und in der Folge auch der Effekt auf den Blutzucker. Auch verkochte Nudeln machen mehr Achterbahn als Al-dente-Pasta. Gekochte Karotten beeinflussen den Blutzucker daher ebenfalls stärker als das rohe Gemüse. Beim sehr langen Kochen von Karotten entstehen beispielsweise kleinere Zuckerstrukturen („Oligogalakturonide“). Das rettete sogar unzählige Leben, denn sie fördern die Ausscheidung von Durchfallerregern und gehörte vor etwa 100 Jahren im Krankenhaus bei Kindern mit schwerem Durchfall zur Standardtherapie!
Du frühstückst gerne ein Toast mit Marmelade zum Frühstück? Dann würde ich mich nicht wundern, wenn du nach 2 Stunden Heißhunger bekommst... Probier doch stattdessen lieber mal eine Scheibe Vollkornbrot mit Avocado oder einem Spiegelei. Denn Fett erhöht die Magenverweildauer, verzögert den Blutzuckeranstieg und führt ebenfalls zu einer flacheren Kurve. Kohlenhydrate sollten am besten mit Fett und Protein kombiniert werden, um für eine lange Sättigung zu sorgen. Ernährungswissenschaftlerin Lily Nichols predigt immer:
„No naked carbs!“
Dem schließe ich mich gerne an. Wer mehr darüber lesen möchte, findet hier auf der Webseite von Lily Nichols einen interessanten Beitrag zu dem Thema.
Essenspausen
Und last but not least freut sich unser Körper, wenn er auch mal eine Essenspause machen darf und dafür ist eine adäquate Sättigung essenziell. Aber das erkläre ich dir nächste Woche genauer...
Deine Apothekerin des Vertrauens
Carolin
P.S. Für alle, die es mit Fachjargon genauer wissen wollen:
Forscher haben beobachtet, dass eine orale Zuckerzufuhr eine höhere Insulinantwort auslöst als eine intravenöse Zufuhr der identischen Menge. Dies wird als „Inkretin-Effekt“ bezeichnet. Was passiert nun aber mit Süßstoff? In-vitro-Studien konnten zeigen, dass künstliche Süßstoffe im Körper ebenfalls eine Inkretinsekretion induzieren.
Zusätzlich wurden kürzlich Studien veröffentlicht, in denen der Verzehr von Süßstoff eine Insulinresistenz hervorrief. Ursächlich steht wohl das Mikrobiom im Fokus. Denn hohe Dosen Süßstoffe wirken bakteriostatisch und beeinflussen damit die Diversität der Darmflora. Insgesamt ist die Studienlage noch sehr inkonsistent. Eine gute Übersicht bietet dieser Artikel im Ärzteblatt. Dennoch: Für mich haben Süßstoffe nichts im Körper zu suchen. Okay, eine Ausnahme mache auch ich: Auf meine Zahnpasta will ich nicht verzichten.