#off-topic: Apotheken machen dicht
Heute in persönlicher Sache: Heute protestieren Apotheken. Zu Recht! Hier die Hintergründe. Plus: Ich mache Urlaub.
Guten Morgen!
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Wenn nein, lade ich dich herzlich ein:
Bei dem heutigen Thema bekomme ich wirklich Puls…deshalb brauche ich erst einmal Urlaub. Du hörst also in zwei Wochen wieder von mir, und zwar zum Thema Darm. Stay tuned.
Bis dahin in eigener Sache:
Heute protestieren Apotheken
Wie du weißt, bin ich Apothekerin aus Berufung und voller Leidenschaft.
Wie die Politik jedoch mit meinem Berufsstand umgeht, macht mich fassungslos. Bundesminister Karl Lauterbach verwechselt Umsätze mit Erträgen. Hä? Dass eine Umsatzsteigerung nichts über die wirtschaftliche Lage aussagt, ist doch Schulstoff...
Nun gab es sogar ein “Faktenblatt” des Bundesministerium für Gesundheit. Auch das ist gruselig, denn es verzerrt das Bild.
Wir Apotheker können uns das nicht länger ansehen, denn es geht nicht nur um uns, sondern um eine wohnortnahe und flächendeckende Versorgung für ganz Deutschland. Die Lieferengpässe zeigen ja, was mit dem Kaputtsparen wirklich kaputt gespart wird: Die Versorgung.
Deshalb schließen heute fast alle Apotheken deutschlandweit. (Notdienst-Apotheken stemmen die Versorgung, keine Sorge!)
Fakt ist:
Das Apothekenhonorar wurde quasi seit 2004 nicht mehr angepasst, von ein Paar Cent im Jahr 2013 einmal abgesehen. 4% Steigerung in 19 Jahren…? Das ist ein Problem, denn Strom, Arzneimittelkosten, Personalkosten etc. sind natürlich in die Höhe geklettert. Apotheken müssen ein E-Rezept beliefern können, also wurde Technik für 3.000 Euro nötig… einfach so. Wir brauchen dies, wir brauchen das - ständig wachsende Anforderungen, Bürokratie und Co. Wie wäre es da zumindest mit einem Inflationsausgleich? Pustekuchen! Stattdessen gab es nun sogar nochmal eine Kürzung von 20 Cent pro RX-Packung als “Dank”, was wir in der Pandemie geleistet haben.
die Anforderungen sind massiv gestiegen. Wir müssen Fälschungsschutz umsetzen, Rabatt-Verträge umsetzen (sparen damit Milliarden für die Krankenkassen), fungieren als Inkasso-Unternehmen und erheben komplett kostenlos aber auf vollständig auf eigenes Risiko beispielsweise die Zuzahlung für Medikamente. Wir managen Lieferengpässe, leisten Notdienste (die immer öfter gar nicht für Notfälle benutzt werden… kürzlich klingelte mich eine Dame nachts um 4h raus, um ein Gesichtspeeling für die Urlaubsreise zu kaufen!) …
All das kostet Zeit, ist personalintensiv und wird nicht angemessen honoriert.
Apothekeninhaber sind Selbstständige, die mit ihrem gesamten Privatvermögen haften müssen. Die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel unterliegen der Preisbindung und damit der Politik. Apotheker können nicht frei kalkulieren, ergo trauen sich immer weniger in die Selbstständigkeit bei schwieriger wirtschaftlicher Lage und schlechter Prognose bei vollem Risiko. Nachwuchsmangel ist definitiv ein Problem.
es herrscht insgesamt Personalmangel. Viel Stress, eine hohe Arbeitsbelastung bei mieser Bezahlung. Die wirtschaftliche Lage hat sich so verschlechtert, dass seit Jahren mehr Apotheken schließen als öffnen. Wir haben den Stand von 1975 erreicht.
Ach, es gäbe noch soooo viel…..
Natürlich jammern auch die Krankenkassen. Die Kosten seien so hoch, … wie wäre es, wenn einfach mal die Mehrwertsteuer auf Arzneistoffe gesenkt wird? Am meisten verdient der Staat an einem Arzneimittel, nämlich satte 19 %!
Oder schauen wir uns die persönlichen Verwaltungskosten der GKV an (vornehmlich Gehälter, Alterssicherung usw.): satte 10,3 MRD Euro im Jahr 2020 hatten die GKV, um ihre 133.482 Beschäftigten zu bezahlen. Das macht 77.381,85 Euro pro beschäftigte Person!
Im Vergleich beliefen die Ausgaben aus der GKV für die Leistungen der Apotheken 5,5 Mrd Euro, die sich auf 160.454 Beschäftigte verteilt. Macht durchschnittlich 40.439,95 Euro pro Mitarbeiter - und jede Apotheke muss während jeder Minute der Öffnungszeit davon einen approbierten Apotheker anwesend haben, der 5 Jahre Studium und 3 Staatsexamen in der Tasche hat. Komisch, dass GKV-Mitarbeiter in Summe fast doppelt so viel verdienen dürfen und es der GKV ja ach so schlecht geht, dass man tatsächlich das Apothekerhonorar um 20 Cent kürzen musste!
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat die Zahlen hier auch recht gut aufbereitet.
Apotheken und Apotheker ermöglichen eine niedrigschwellige, wohnortnahe Versorgung und Beratung. Wir beraten kostenlos.
Ein paar Beispiele? Bitteschön:
Erst vor zwei Wochen hat meine Kollegin (“Verkäuferin”) beim “Schublade ziehen” eine Patientin eindringlich ins Krankenhaus geschickt, Verdacht auf Thrombose. Die Dame ging zum Glück in die Klinik, denn es war tatsächlich eine Thrombose. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn sie mal eben die Heparinsalbe der Nachbarin besorgt hätte oder im Internet bestellt hätte…
Oder das Rezept für Kapseln für ein herzkrankes Kind, Individual-Rezeptur. Mir kam die Dosierung spanisch vor, ich telefonierte mit dem Arzt. “Ups, Komma verrutscht.” 10-fache Stärke! Klar, Internetapotheken wäre das nicht aufgefallen. Denn ach ja, die machen ja gar keine Rezepturen…
Oder der Patient, der versehentlich sein Gicht-Medikament täglich einnahm, das nur wenige Tage im Akutfall gedacht war. Er kam frisch vom Arzt, dort war nicht aufgefallen, dass er erst kürzlich ein Rezept besorgt hatte. Mir erzählte er, dass seine Blutwerte so schlecht geworden seien - meine Alarmglocken schrillten, ich fragte nach der Einnahme, denn in der Historie war mir aufgefallen, dass er es schon wieder benötigte. Und so kam raus, dass er sich versehentlich chronisch mit Colchicin vergiftet hatte! Ich habe damit sicherlich einen Krankenhausaufenthalt oder schlimmeres verhindert. Verdient habe ich daran nichts, der Fall hat mich inkl. Telefonat mit dem Arzt 20 Minuten gekostet. Glücklicherweise waren meine Kollegen so nett und haben mir den Rücken frei gehalten und die anderen Kunden bedient.
Oder kürzlich als pharmazeutische Dienstleistung ein Bluthochdruck-Patient, der zwei Blutdrucksenker nimmt, dem aber seit 5 Jahren kein Blutdruck mehr gemessen wurde. Wie passiert sowas?! Keine Ahnung, aber ich habe ihm die standardisierte dreifach-Messung angeboten und der Wert war weit oberhalb der Norm (systolisch 160). Ich habe ihn mit Nachdruck zum Arzt geschickt, er war dankbar und vereinbarte direkt einen Termin. Meine Kollegin fasste es so zusammen:
Carolin, du hast dem Mann gerade Lebenszeit geschenkt!
Denn was nutzt eine pharmakologische Therapie, wenn sie nicht kontrolliert und auf Zielwerte eingestellt wird? Offensichtlich war der Patient einfach durchgerutscht und ja, der Patient hätte Eigenverantwortung übernehmen müssen. Hat er aber nicht. Er wollte ja keine Umstände machen... Ja, ich durfte diese Dienstleistung abrechnen. Stolze 11,20 Euro netto. Zeitfaktor? Mit Beratung, Abfrage der Compliance, allem drum und dran: rund 20 Minuten. Stundenlohn 33,60 €.
Meine Vision:
Arzt und Apotheker ziehen gemeinsam an einem Strang - für eure Gesundheit. Wir können Ärzte entlasten, Lotsenfunktion übernehmen, stärken die Therapietreue und sind eine absolut niedrigschwellige Anlaufstelle. Ich wünsche mir, dass das so bleibt! Und ich träume davon, dass Apotheken finanziell so aufgestellt sind, dass ich mir diese Zeit künftig erlauben kann, wenn sie nötig ist. Denn heute ist das nicht der Fall.
Ich wurde mal als “Verkäuferin in der Apotheke” bezeichnet. Mittlerweile würde ich gerne darüber lachen - mein Ego steht da drüber. Aber ganz ehrlich? Mein Herz blutet. Denn Apotheker haben echt was auf dem Kasten und wir leisten als Berufsstand ne ganze Menge.
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Sei bitte so lieb, stärke die Apotheke vor Ort. Dort arbeiten Menschen wie ich, die voller Herz und Begeisterung für deine Gesundheit brennen. Kauf lokal. Hilf mit, die Versorgung durch Apotheken zu erhalten. Sie hat sich doch echt bewährt, findest du nicht auch?!
Deine Apothekerin des Vertrauens
Carolin
P.S.: Impressionen vom Lernen aus 2015. Nach dem 3. Examen hat das Lernen jedoch nicht aufgehört, denn als Apothekerin gehört lebenslanges Lernen für mich dazu! :-)