#4: Antinährstoffe: Smart kochen statt auf Verzicht pochen!
Hä? Anti-Nährstoffe? Jap, richtig gelesen! Es gibt Nährstoffräuber in Pflanzen. Sie stören die Aufnahme von Zink und anderen Mikronährstoffen. Aber du bist ihnen nicht hilflos ausgeliefert :-)
Hi!
Hast du schonmal von Anti-Nährstoffen gehört? Ja OK, im Newsletter über Vitamin C und Bisphenol A habe ich es kurz angesprochen. Gerne erzähle ich dir heute mehr darüber.
In Pflanzen stecken über 100.000 verschiedene Verbindungen, die als Abwehr-, Farb-, Duft- und Aromastoffe vielfältige Funktionen übernehmen. Sie werden unter dem Begriff “sekundäre Pflanzenstoffe” zusammengefasst und sind das, was Obst und Gemüse so super gesund macht. Häufig werden sie anhand ihrer chemischen Strukturen unterschieden. Es gibt beispielsweise Polyphenole, Carotinoide, Terpene, Phytoöstrogene, Sulfide, … als Laie musst du das nicht weiter im Detail wissen :-)
Einige dieser Stoffe hemmen die Aufnahme von wertvollen Inhaltsstoffen wie Zink, Protein oder auch Eisen. Sie werden deshalb als ein “Anti-Nährstoff” bezeichnet. Die Liste ist lang: Oxalate, Phytate, Tannine (im Rotwein :-)), Goitrogene, Gluten, Lektine, Saponine….
Der bekannteste Anti-Nährstoff ist sicherlich die Phytinsäure, ihr Anion ist das Phytat. Sie dient in der Pflanze als Phosphorspeicher und ist vor allen Dingen in Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten enthalten. Der Haken? Phytinsäure bindet Zink, so dass du bis zu 45 Prozent weniger davon aufnimmst!
Ein anderes Beispiel sind sogenannte Lektine. Das sind Eiweiße, die an bestimmte Zuckerstrukturen auf anderen Zellen binden und so vielfältige biochemische Reaktionen hervorrufen können. Das Lektin “Rizin” ist eins der giftigsten Substanzen, die unsere Welt zu bieten hat: Beim Menschen reicht bereits der Verzehr von 0,3 bis 20 mg reines Rizin pro Kilogramm Körpergewicht für den Tod aus! Glücklicherweise kommt dieses Lektin nur in den Samen des Wunderbaums vor - und außer in Krimi-Serien oder bei Mord stehen diese Samen nicht auf unserem Speiseplan.
Mittlerweile wurden über 500 verschiedene Lektinarten identifiziert. Sie dienen der Pflanze als Fraß- und Krankheitsschutz. In Tierstudien störten hohe Dosen isolierter Lektine die Integrität der Darmbarriere. Der Darm wurde also “durchlässiger”, und zugleich wurde das Immunsystem aktiviert. Die Tiere resorbierten weniger Fett, Protein und Vitamin B12 und wuchsen nicht mehr so gut. Klingt nicht gut, oder?
In der Paleo-Diät werden zahlreiche Anti-Nährstoff-reiche Lebensmittel wie Getreide und Hülsenfrüchte oder auch Erdnüsse genau aus diesem Grund abgelehnt. Andererseits gibt es aber auch Bücher wie “How not to die”, dessen Autor (ein Arzt!) empfiehlt, fünf Portionen Hülsenfrüchte pro Tag (!) zu konsumieren, um sich lange guter Gesundheit zu erfreuen!
Hä? Wie passen diese Extreme zusammen?
Meine persönliche Antwort darauf ist, dass Extreme immer ungünstig sind und die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen liegt. Schließlich kommt es auf unzählige individuelle Faktoren an! Zudem gibt es glücklicherweise Mittel und Wege, den Gehalt an Antinährstoffen zu minimieren.
Mir sind zwei Dinge echt wichtig:
Essen muss schmecken
statt verzichten lieber optimieren. Denn jede Einschränkung birgt das Risiko der Einseitigkeit!
Sogenannte “Anti-Nährstoffe” finde ich ein wunderschönes Beispiel für die oberen zwei Aspekte. Denn ja, unbestritten, Antinährstoffe sind möglicherweise kritische Inhaltsstoffe in Lebensmitteln.
Die Betonung liegt auf möglicherweise! Denn sorry, ich muss noch ein weiteres Fass aufmachen: Wusstest du, dass die o.g. “böse” Phytinsäure aber auch deinen Blutzucker stabilisiert und möglicherweise krebsvorbeugend und -hemmend wirkt? Weitere positive Effekte werden diskutiert (Immunsystem-regulierend, antioxidativ, Cholesterin-senkend).
Auch bei Lektinen stehen mittlerweile positive Effekte im Raum. Mistel-Lektine werden sogar seit über 100 Jahren in der Krebstherapie eingesetzt. Nichtsdestotrotz gibt es wohl einige Personen, die auf Lektine reagieren, denn bei einigen Probanden bildete der Organismus Antikörper gegen verschiedene Lektine. Bei sogenanntem “Leaky Gut”, also “löchrigem” Darm, würde ich persönlich ebenfalls lieber eine Lektin-arme Ernährung anstreben, bis sich der Darm beruhigt hat.
Hach, es ist also wie so oft kompliziert. Aber keine Sorge, es gibt Kniffe, um ganz einfach den Gehalt an Anti-Nährstoffen zu reduzieren! Hier ein paar Beispiele:
Lektine sind weit verbreitet und befinden sich beispielsweise in Getreide, Hülsenfrüchten, Bohnen, Cashewkernen, Erdnüssen, aber auch in geringerer Menge in Nachtschattengewächsen wie Tomaten, Paprika, Kartoffeln und Aubergine. Lektine können durch Einweichen und (langes) Kochen oder Fermentation gut inaktiviert werden. Bei falscher Zubereitung bereiten Lektine aber echt gerne Probleme. Also Kidneybohnen lieber zu lange als zu kurz kochen.
Auch Phytate können durch Einweichen, Kochen oder beispielsweise Sauerteiggährung abgebaut werden. Zu den Phytin-reichen Lebensmitteln zählen Weizenprodukte, Erdnüsse, Roggen, Gerste, aber auch Hafer, Quinoa, Reis, … Vollkornbrot enthält dummerweise mehr Phytat als ein Weißbrot. Gleichzeitig hat es aber auch mehr Zink und bei einem Sauerteigbrot kommt unter dem Strich dann trotzdem mehr Zink bei dir an. :-) Bedenke beim Kauf also: Brot ist nicht gleich Brot! Du isst gerne Haferflocken? Super! Dann weiche sie doch einfach über Nacht ein, um Phytate abzubauen. “Over-Night-Oats” ist also nicht nur ein hippes Wort, sondern ne ganz schön coole Idee.
Saponine scheinen einerseits ebenfalls durchaus positiv zu wirken, nämlich antikanzerogen, antimikrobiell, immunmodulierend und entzündungshemmend - kurzum: sehr vielfältig. Andererseits können sie rote Blutkörperchen zerstören (“Hämolyse”) und im Magen-Darm-Trakt wichtige Verdauungsenzyme inaktivieren. Das kann zu Problemen bei der Verdauung führen oder die Aufnahme von Vitaminen stören... Insgesamt ist es also sinnvoll, die Menge zu reduzieren. Denn während kleine Mengen vermutlich nicht schaden und womöglich sogar nutzen, sind sehr hohe Dosen durchaus gefährlich.
Saponine sind teilweise hitzestabil. Kochen bringt also leider nicht immer Erfolg. Auch die Magensäure tut ihnen nichts an. Aber sie sind wasserlöslich! Schau mal, du kannst die Saponine sogar sehen, denn sie wirken seifenähnlich und es kommt zur Schaumbildung. :-) Na, wo könnten Saponine enthalten sein? Bingo, in Linsen, Kichererbsen, Bohnen, Buchweizen … überall dort, wo es schäumt. Wenn ich Zeit habe, weiche ich Linsen vorher ein. Wenn ich keine Zeit habe, dann wasche ich sie einfach vor dem Kochen in einem Sieb und fertig.



Deine Mama hat dir sicherlich beigebracht, bei Kartoffeln grüne Stellen und Keimansätze wegzuschneiden, oder? Super! Denn darin befinden sich besonders hohe Mengen “Solanin”, ebenfalls ein Saponin. Es geht beim Kochen in das Kochwasser über. Schütte das Kochwasser also am besten weg, auch Schälen reduziert einen Großteil von Solanin.
Das Bundeszentrum für Ernährung beruhigt: “Um eine Solaninvergiftung zu bekommen müssten Erwachsene allerdings mehr als 10 Portionen Pellkartoffen am Tag essen.” Die Vergiftung äußere sich durch Brennen und Kratzen im Hals, Magenbeschwerden, Darmentzündungen, Gliederschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Nierenreizungen, Durchfall und in schlimmen Fällen sogar durch die Auflösung der roten Blutkörperchen, Störungen der Kreislauf- und Atemtätigkeit sowie Schädigungen des zentralen Nervensystems (Krämpfe, Lähmungen).
Ach, und Tannine? Die Sorgen in deinem Rotwein dafür, dass er länger haltbar ist (antimikrobiell!), er so wunderschön rot aussieht und deine Zunge pelzig wird. Cheers :-)
Also keine Panik! Wenn du dich abwechslungsreich ernährst und ein paar Kniffe kennst, ist das alles halb so wild und du kannst obendrein einen möglichen Benefit der “Anti-Nährstoffe” mitnehmen. Gemüse sowie Lektin-reiche Lebensmittel sind zudem hervorragende Quellen für Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und essentielle Aminosäuren! Wenn du sie komplett aus deiner Ernährung streichst, wäre das also ein Jammer. In Studien erwies sich eine Gemüse- und Vollkornreiche Ernährung, die natürlich zwangsweise Lektine enthält, insgesamt sehr positiv im Hinblick auf Entzündungs-Biomarker.
Aber bitte achte auf hochwertige Lebensmittel! Greife also lieber zu einem handwerklich gut gebackenen Sauerteigbrot oder einem Brot mit langer Teigführung statt Industrie-Turbo-Brot! Dabei werden auch Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) abgebaut, die Zöliakie-ähnliche Beschwerden hervorrufen können. Aber das ist mal ein eigenes Thema wert. :-)
Willst du noch mehr Details über die einzelnen Anti-Nährstoffe erfahren? Hinterlasse mir doch einen Kommentar und lass’ es mich wissen. Dann gehe ich gerne beim nächsten Newsletter darauf ein oder erstelle bei Interesse nochmal separate Texte zu den einzelnen Anti-Nährstoffen.
Ansonsten bis zum nächsten mal!
Deine Apothekerin des Vertrauens
Carolin
P.S. Für alle, die es mit Fachjargon genauer wissen wollen:
Einfach den Text noch mal lesen, dort war laut meinem Mann diesmal genug Fach-Chinesisch.
Gerade mit Hashimoto ist es so wichtig,
auf die richtige Zubereitung zu achten. Vielen Dank für diesen super Beitrag.