#23: Was können NEM (nicht)?
Heute geht es um Chancen und Grenzen der Mikronährstofftherapie. Denn ganz ehrlich: Welche Erwartung hast du? Setzt du fort, was dich krank macht? Dann wird es schwierig.
Lieber Leser,
mit einer Sache muss ich noch aufräumen: Was können Nahrungsergänzungsmittel und was können sie nicht?
Kürzlich fragte mich jemand: „Wie kannst du für Vitamine werben, wenn du immer noch Migräne hast?!“ Da musste ich lachen und spiele den Ball gleich weiter an dich: Was für eine Erwartungshaltung hast du an Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Aminosäuren? Denn deine Zufriedenheit hängt nicht nur vom Ergebnis, sondern maßgeblich von deiner Erwartungshaltung ab.
Mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) konnte ich meine Migräne-Frequenz von 2-3x wöchentlich auf 1x alle zwei Monate reduzieren. Überpace ich hingegen in meinem Leben, habe ich Migräne trotz (!) NEM phasenweise noch 1x pro Woche. Mittlerweile bin ich dankbar für meine Migräne, denn nach spätestens drei Wochen ziehe ich die Reißleine und korrigiere meine offensichtlich in Schieflage geratene Work-Life-Balance.
Was will ich damit sagen?
Ja, NEM können eine ganze Menge. Aber sie sind zugleich nur eine Säule von vielen für einen gesunden Lebensstil. Dazu gehört
- Schlaf
- Sport
- Ernährung
- Ausgleich/Entspannung
Und vieles mehr. Priorisiere das! Priorisiere dich! Oder mit Domis Worten (danke, Domi, du inspirierst mich immer wieder): Be the CEO of your Life.
Ich kann nicht erwarten, dass ich einfach oben alles an Vitaminen und Co in mich hineinkippe und dadurch weiter 18h täglich arbeiten kann, ohne im Burnout zu landen. Das funktioniert nicht. Du musst aufhören mit dem, was dich krank macht.
Daher meine Bitte: Sei kritisch und ehrlich mit dir! Es gibt keine Pille und keine Nahrungsergänzung, die dir eine gesunde Ernährung, gute Routinen, Sport, kalte Duschen und vieles mehr erspart. Das alles ersetzt nichts von alledem, sondern – die deutsche Sprache ist sehr präzise – sie ergänzt.
Und noch ein Tipp: Manchmal gibt es Dinge oder Sport, die dir zwar entsprechen, weil sie zu deinem Temperament passen. Vielleicht gibst du immer Vollgas und magst Intensität, weil du ein Macher bist? Ich fühlte mich aus dem Grund bei Crossfit und HIIT-Training zu Hause: Gasgeben. Aber ist es wirklich das, was du brauchst? Ist nicht viel eher ein Gegenpol für dich wichtig, also Langeweile und Ruhe ertragen? Ich starte aktuell aus diesem Grund wieder mit Yoga. Spaß macht es mir nicht, ich vermisse das Dopamin und die Endorphine vom schweren Gewicht, HIIT und Crossfit. Ich muss mich regelrecht zwingen. … Aber ich merke, dass mir genau diese Ruhe und Fokussierung auf Atmung und Reinspüren in den Körper statt ständig Drübergehen über Grenzen gut tut und mir fehlt… und es sich nur ungewohnt anfühlt. Schließlich dreht(e) sich bei mir bis kürzlich alles im Leben um Intensität.
Vielleicht bist du eher ein ruhiger, gemäßigter Typ? Vielleicht ist für dich dann genau das andere richtig: Mal Gas geben, dich vollkommen raushauen, Intensität, Adrenalin und Anstrenung durch deine Adern pochen fühlen und über deine Grenzen gehen! Energie fließt nur, wenn beide Pole vorhanden sind - plus und minus. Wir brauchen stets Anspannung und Entspannung. Ich lade dich herzlich ein, einfach mal kontra-intuitiv das zu tun, was dir eigentlich so gar nicht zu entsprechen scheint. Probier es aus! Lebendig wirst du dich damit garantiert fühlen.
Was bedeuten NEM für mich?
Ich möchte meinem Körper die Bausteine geben, damit er alles hat, was er braucht, um gesund zu bleiben und bestmöglich rund zu laufen. Das schließt Prävention mit ein - schließt aber selbstverständlich ebenfalls mit ein, dass ich Krankheiten bestmöglich vorbeugen oder therapeutisch beeinflussen möchte. Das sind zugleich die Chancen der Mikronährstofftherapie.
Zurück zur Migräne. Daran leide ich, seit ich ein Kleinkind bin. Sicherlich ein Teil Genetik, also wegzuzaubern sicherlich nicht. Während der Schulzeit kämpfte ich zusätzlich noch Spannungskopfschmerz. Mit 15 Jahren fragte ich irgendwann kritisch in der Apotheke, wie viel Ibuprofen ich eigentlich schlucken dürfe, weil ich monatlich eine Packung mit 20 Tabletten à 400mg brauche. Der Apotheker antwortete cool: “Ach, Rheuma-Patienten brauchen ne Packung pro Woche - kein Problem!” (WAS für ein VOLLIDIOT! Heute schäme ich mich für den Kollegen, er hätte mich nämlich an einen Arzt verweisen sollen. Bezahlt habe ich das viele Ibu mit einer Gastritis, was wiederum zu einer PPI-Einnahme führte… wenigstens bekam ich als Privatpatient noch Physio und Eiseninfusionen, um irgendwie so auf die Kopfschmerzen einzuwirken).
Ich erinnere mich noch, wie ich einmal kotzend und heulend bei meiner Ärztin an der Infusion hing oder ich abends abgedunkelt im Bett wimmerte und mir vor Schmerz den Tod herbeisehnte. Meine Lebensqualität war richtig schlecht, dabei war ich “eigentlich gesund“. Ab 17/18 (Abi) bekam ich dann endlich “vernünftige” Schulmedizin gegen meine Migräne: Topiramat, Betablocker, Antidepressiva, … einmal querbeet alles aus dem Apothekerschrank, also zusätzlich zum PPI noch Triptane, Novaminsulfon, Ibuprofen, MCP. Dank Schulmedizin konnte ich meine Frequenz auf 1x erträgliche Schmerzen alle 2-3 Wochen senken und hatte die Migräne im Griff. Ich war stolz! Ich hatte einen Weg gefunden! Ich liebe Medikamente! ;-) Wie gut, dass ich längst im Studium auf dem Weg zur Apothekerin war. ;-)
Tja, und dann? Dann begann der (Arbeits-)Alltag und ich war knallhart: Mein Alltag muss ohne (Dauer-)Medikamente funktionieren. Mit Anfang 20 fand ich mich zu jung für lebenslang PPI und Betablocker. Ach, und Metformin hatte ich ja auch noch, … Ich habe alle Arzneimittel abgesetzt und stur, wie ich war, musste es auch anders gehen.
Spoiler-Alarm: Es geht! Natürlich ging es mir erstmal wieder richtig schlecht. Ich hatte ja auch nicht aufgehört mit den Dingen, die mich krank machen. Dann habe ich Verantwortung für mich und meine Gesundheit übernommen und hatte eine rasante Lernkurve. Das Ergebnis siehst du heute: ich fühle mich fabelhaft, bin sportlich, fit, gesund und absolut leistungsfähig (trotz eines extrem hohen Pensums).
In diesem Sinne: Priorisiere Schlaf, Sport, Entspannung und Ernährung in deinem Alltag! NEM sind ein Teil davon. Dein Leben muss nicht perfekt gesund sein. Aber versuche doch jeden Tag, die beste Version deiner selbst herauszukitzeln. Der Schlüssel sind gesunde Routinen. Denn wenn deine Basis stimmt, hast du gewonnen.
Herzlich
Deine Apothekerin des Vertrauens
P.S. Für diejenigen, die es genauer wissen wollen, habe ich auch gerne nochmal in die Migräne-Leitlinie geguckt. Pharmakotherapeutika, die zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden, müssen übrigens lediglich zu einer 50%igen Reduktion der Anfälle führen! D.h. die Migräne ist bei Einnahme eines Medikaments zur Prophylaxe von Migräne ebenfalls nicht weg, sondern sie kommt lediglich nur noch halb so oft vor. Die Messlatte ist damit gar nicht so hoch, mh? Und das zeigt umso mehr, wie vermessen die Frage ist, warum ich immer noch Migräne habe, wenn ich doch Vitamine nehme. Leider können wir unsere Genetik, der Umwelt, den damit einhergehenden Belastungen und auch Erkrankungen nicht vollständig entkommen.
P.P.S. Du leidest auch an Migräne? Die aktuelle Leitlinie empfiehlt - ohne ausreichend Evidenz - übrigens Magnesium, Vitamin B2 und Coenzym Q10. Auch Omega 3 finde ich ganz wichtig. Schreib mir gerne und ich empfehle dir 1-2 konkrete Produkte, wenn du es ausprobieren willst.
Sorry für die Fehlerteufel...ich war zu schnell 😀
Tja, migräne habe ich auch...früher mit allem, was dazu gehört...heute viel erträglicher und seltener. Sobald die Aura auftaucht, schlucke ich eine migräne-pille, komme zur Ruhe, spreche mit mir (innerlich), gönne meinem Körper die Zeit, die er braucht, um wieder für mich da sein zu können.
Ich habe gelernt, die Aufgaben meinem Leben mit Freude zu begegnen, Dinge abzugeben, die ich nicht bewältigen kann...und dankbar zu sein für das Leben, das mir einmal geschenkt wurde.
Ja, und dann habe ich noch meine Nichte carolin, nicht nur eine tolle Apothekerin, sondern auch ein Lieblingsmensch von mir 😀